Gruebenkessel – keepwild! - Alternativen zum Bergtrubel in der Schweiz

Nach gefühlten drei Stunden sehen wir die Hütte hoch oben auf einem Felsen stehen. Nochmal eine Stunde später und wir haben den steilen Kraxelanstieg an den fixierten Seilen überwunden. Es ist später Nachmittag, nur ein paar Wolkenschleier ziehen durch und wir genießen die letzten Sonnenstrahlen des längst beendeten Sommers. Hier oben am Rande des Grubenkessels auf der Gruebenhütte des SAC sind wir allein und es herrscht absolut friedliche Stille. Nichts, kein einziges Geräusch stört den Tag und der Blick auf den Empfangsbalken im Handy bestätigt es, wir sind endlich mal wieder im Off angekommen. Die kleine Selbstversorgerhütte ist ein Relikt aus Abenteuertagen in den Bergen. Kein Empfang, kein fließendes Wasser, keine Dusche, kein Schnickschnack. Hier gibt es Natur pur, gepflegte Betten, einen Holzherd, Solarstrom und Einfachheit mit einem strahlenden Glanz. 

Wir inspizieren nur kurz die tolle Ausstattung und nutzen gleich den unterhalb der Hütte gelegenen Klettergarten für einige Seillängen. Der bietet hübsche Plattenklettereien in mittleren Schwierigkeitsgraden in bestem Hochgebirgsgranit. Alle Routen sind plaisirmäßig abgesichert und mit guten Standplätzen versehen. Schnell sind die restlichen Nachmittagsstunden verbraucht, unsere Füße vom vielen Klettern der letzten Tage für eine Schonzeit bereit und wir hungrig genug für einen entspannten Hüttenabend. 

  

In der gemütlichen Gaststube sind wir nicht schlau genug für die 2-Knopf-Solaranlage und erhöhen somit den Faktor Romantik um zehn Punkte, indem wir einfach ein paar Kerzen anzünden. Wozu braucht es Strom? Der Löffel findet den Mund auch ohne Elektrizität, das Knurren des Magens ist ja kaum zu überhören und weist den Weg automatisch. Da wird die Tütensuppe zur Gourmetvorspeise und der Vierminutenreis mit Gemüse eine Köstlichkeit. Unter der Bank versteckt sich der Bier- und Weinvorrat, leider müssen wir nach einem kurzen Lustaufschrei feststellen, dass das wohl im Herbst ein bisschen zu spät gefreut war. Der Abend wird beendet mit dem dicken Wälzer über Schweizer Bergsagen aus der reichhaltigen Literaturecke und endet somit schaurigschön in den warmen Duvets.

  

Am morgen dann der versprochene Regentag und wir lassen die geschundenen Füße einfach nochmal im Bett. Entspannungstag auf 2500 Metern, hier im Land von „keepwild!“ und dem Schweizer Bergkonzept: wer kommt ist selber Schuld! Seit Jahren sind die Tourismuszahlen rückläufig. Sicherlich spielt der starke Franken da eine Rolle, aber auch das „Wie“ ist ja nunmal oft entscheidend. In der Schweiz ist vieles so gelassen, wie es ist. Die Skipisten sind nur zu einem geringen Teil beschneit und nicht zur Autobahn ausgebaut, die Hüttenzustiege nicht alle asphaltiert, wer auf einer kleinen Schweizer Berghütte übernachtet, muss nicht automatisch mit Dusche, Sauna, Whirlpool und Hüttenzauber rechnen und trotz der unendlich vielen Tunnel gibt es immer noch verkehrstechnisch zurückgebliebene Ecken. Ein Idyll für das man auch einige Franken hinlegen muss, aber anscheinend nicht so beliebt in der heutigen, doch recht hektischen Zeit. Auf den bewirteten Hütten gibt es aber immer köstliches, mehrgängiges Essen, eine Gemütlichkeit, die auf österreichischen Hütten vor 30 Jahren abgeschafft wurde und alles was man wirklich notwendiger Weise im Gebirge braucht. Irgendwie halt immer etwas einfacher, aber uriger, bescheidener, aber gemütlicher und zweckmäßiger, ohne den technischen Schnickschnack. Wer das liebt, gerne mal ein paar Stufen zurück fährt, ein paar Meter mehr geht und Sachen in den Bergen sucht, wie Eigenverantwortung, Orientierung, Ruhe, Wildnis, oder vielleicht ein Stück Abenteuer, der ist hier genau richtig. Die Übernachtungszahlen auf den Biwakschachteln und kleinen Hütten zeigen eine eher ansteigende Tendenz. Hingegen sind die größeren Einrichtungen mehrheitlich rückläufig. Die Schweizer Ecke in der wir uns gerade tummeln hat in den letzten Jahren fast 20% weniger deutsche Touristen zu verbuchen, insgesamt kommen etwa 8% weniger ausländische Touristen hierher. Vielleicht müssen sie hier ja auch so einen „Ultimate Adventure Playground“ bauen, wie in Tirol, alle Routen verbohren und ein „Climbers Paradise“ veranstalten oder noch mehr „Alpen Coaster“ und „AlpspiXe“ in die Gegend stellen, um den zeitgenössischen Touristen anzulocken. Ich drehe mich noch einmal um und döse über meine komischen Gedanken noch einmal ein, sehr sicher, dass wir dann nicht mehr kommen werden.

Nach einem unbergmäßigen, sehr späten Frühstück raffen wir uns auf und düsen ein paar Meter Richtung Tal, um in der alten Biwakschachtel Bouldern zu gehen. Mit viel Liebe umgestaltet, lassen sich hier die Regenstunden ganz leicht verbringen. Es sind zwar nur ein paar wenige Quadratmeter, aber mit ein wenig Fantasie lassen sich schon verschiedenste Kreationen reißen. Mal darf die Tür mitgenutzt werden, mal geht es auch ohne Tritte...irgendwann reißt der Himmel ein klein wenig auf und wir streifen rüber zur Slackline, um auch da ein paar Runden zu drehen. Bald setzt der Regen wieder ein und wir beenden den Tag mit weiteren Bergsagen und heizen die Hütte ganz ordentlich ein.

 

Unser letzter Tag im Paradies beginnt mit stahlblauem Himmel und Sonnenschein. Es ist noch eiskalt und der Fels pitschnass, aber den glitzernden Gletscherpfeilern können wir einfach nicht widerstehen. Von der Hütte geht es in wenigen Minuten hinunter in einen wackeligen, blockigen Schutthaufen, der früher einmal zum stolzen Gruebengletscher gehörte. Hier gibt es den Klimawandel nicht hautnah zu erspüren, sondern gleich mit der ganz dicken Keule, denn vom ehemals riesigen Gletscher ist praktisch nichts mehr da. Zum ersten Pfeiler geht es so gerade noch, aber wenn kein Schnee mehr liegt ist der Zustieg und das Abseilen von oben auf jeden Fall ratsam. Ich bekomme noch einen skeptischen Blick, bevor ich hochmotiviert in die wasserüberronnenne Platte einsteige, aber der grobkörnige Hochgebirgsgranit ist auf meiner Seite und mit nur einem kleinen Rutscher stehe ich am Stand. Wunderschöne, abwechslungsreiche Kletterei mit kleinen Überraschungen und Stellen, wo man auch schon mal hingucken muss, führen uns drei Seillängen hinauf bis zu einer 45 Meter Seillänge, die einfach nur mit „erstklassig“ eingestuft werden kann. Der skeptische Blick ist längst einem Grinsen gewichen und am Ende trocknen Wind und Sonne die Wände dort oben auch schnell ab. Viel zu schnell sind die sechs Seillängen unter uns und nur der Gedanke an den langen Abstieg lässt uns von diesem schönen Fleck Erde verschwinden. Aber wir wollen ja heute noch weiter und werden bestimmt wieder kommen!

Quellen:

Schweizer Tourismus Verband, Schweizer Tourismus in Zahlen 2012, Gruebenhütte Newsletter 5/2010, SAC-CAS Hüttenstatisktik 2011, Amt für Wirtschaft und Tourismus, Bundesamt für Statistik, Beherbergungsstatistik 2012.

Info:

www.gruebenhuette.ch keepwild! www.keepwild.ch und http://www.mountainwilderness.de/ 

Anreise:

Mit dem Zug nach Meiringen (kann man immer noch die Uhr nach stellen!) und dann weiter mit dem Postauto zum Handegg. Etwa 3,5 Stunden ab Basel.

Mit dem Auto die Grimselpassstrasse und kurz hinter dem Hotel Handeck parken.

 

Vom Hotel Handeck (1401m) dem markierten Weg entlang nach Ärlen (Ärlenalp, Brunnen mit Trinkwasser) und weiter via Egg (Weg, Steinmännli) zum Anfang des Grubensees.

Von dort über den Bach und dem südlichen (im Aufstieg linken) Seeufer entlang bis zur Geröll- und Schwemmebene des Gruebengletschers (markiert mit Steinmännchen).

Weiter auf der nördlichen Seitenmoräne über den Gruebengletscher bis zum Schlusshang im Südwesten der Hütte.

Ein großer Steinmann markiert den Eingang zum kleinen Weg, der steil in 15 Minuten zur Hütte führt. Keine Gletscherausrüstung erforderlich. 3-4 h, T3.