Freiheit bis 3.000 m! Klettersteig „Abenteuer“ am Dachstein
Freiheit bis und nicht über 3000 Meter; auch nicht davor und schon gar nicht dahinter. Freiheit ganz und am Stück und in dicken, fetten, gelben Lettern. Plakativ und hervorgehoben, eine Freiheit die einem so richtig kräftig ins Gesicht springt!
Irgendwie bin ich über dieses Werbebanner an der Dachstein Talstation gestolpert. Naja, gestolpert ist vielleicht falsch ausgedrückt. Stolpern kann man da ja nicht mehr. Die Straße hoch ist natürlich sehr gut ausgebaut, der Parkplatz weiträumig eingeebnet, alle Ausschilderungen picobello, die Parkeinweiser hervorragend geschult und der Zugang zur Hütte von allen Fußangeln befreit. Hier gibt es überhaupt nichts mehr zum Stolpern. Dachstein, da ist alles ganz ordentlich, planiert und autobahnähnlich hergerichtet. Perfekt ausgeschildert und wer es dann immer noch nicht glaubt, dem wird ein Hochglanzprospekt in die Hand gedrückt. Ein bis ins kleinste Detail durchgestyltes, faltenfreies Gebiet, bei dem jede Bewegung des Besuchers bis ins Kleinste geplant und natürlich nebenbei auch abkassiert wird. Ein perfekt organisiertes Bilderbuchabenteuer mit Erlebnisgarantie.
Ein missmutiger Unterton? Dann sagen wir mal ein Tönchen, denn es gelingt mir einfach nicht, diesen Riesenrummel auch nur im Entferntesten mit dem Wort „Freiheit“ zu verbinden. Was um Himmels Willen soll denn da noch Freiheit sein? Als Tourist werde ich im Bus hochgekarrt, anschließend wie eine Ölsardine in die Seilbahn gequetscht, oben angekommen gibt es keine Aussicht, sondern nur ein abgewracktes Gletscherskigebiet, Müll, Touristenströme, eine Horde trampelnder Turnschuhe auf dem Gletscher, knatternde Skidoos und ratternde Hubschrauber. Ein Höllenspektakel und Heidenlärm. Und all das mitten in der Freiheit. Schlange stehen am Eispalast und dann schnell über das Transportband wieder ins Warme zurück. Ein Blick noch ins Nichts der Dachstein Südwand, über die Hängebrücke zur Glasaussichtsplattform geschoben und schon ist das große Nichts auch im Portemonnaie zu finden.
Nach einem Blick ins Faltblatt entscheide ich mich für den höchsten Vertical Drop Österreichs. An Superlativen mangelt es hier in der Region nicht. Dabei ist ein Vertical Drop nur ein moderner Name für eine Kombination aus zwei Klettersteigen durch die Dachstein Südwand. Im ersten Teil („Anna“) wird dabei der ansonsten etwas mühsame Zustieg zum eigentlichen Klettersteig, dem „Johann“ überwunden. Wie eine ausgebaute Schnellstraße geht es hier an dicken Seilen in der perfekten „Linie des fallenden Tropfens“ nach oben. Schnurgerade und immer auf der Suche nach dem maximalen Abenteuer, sprich dem steilsten Stück Fels der Wand, prügelt die Route die Wand hoch. Logische Linien? Sanfte Erschließung? Nachhaltigkeit? Nein, darum geht es bei einem Spaßklettersteig nicht. Wozu das gut sein soll? Naja, man spart sich halt das Stapfen durch ein Gerölleck und ist so ein bisschen schneller. Das ist am heutigen Tag auch wichtig, denn für den Nachmittag sind mal wieder Gewitter im Anmarsch. Trotzdem steigt hier jeder ein, der einen Karabiner festhalten kann. Schon auf den ersten Metern stecken einige Klettersteiggeher völlig fest und blockieren den Weiterweg. Wenigstens hätte man eine Überholspur einbauen können, denn das Aneinandervorbeimogeln kostet eine Menge Zeit. Die mag ich mir bei der wackeligen Wetterprognose heute nicht nehmen und drücke ein bisschen auf die Tube. Zwei Stunden später und nachdem 30 freundliche Bergkameraden überholt sind, kommt dann der Gipfelschock: eine letzte Kante und plötzlich steht man mitten im Gewimmel der Seilbahntouristen. Die Bergsteigerunterkunft sorgt für Musik und Verpflegung, der Hubschrauber für Luftunterstützung und der Skidoo für kalte Getränke. Die Freiheit ruft hier und zwar verdammt laut! Eine neue Stromleitung wird gebaut, naja kein Wunder wenn man sich hier umschaut. Bestimmt wird damit das neue Gipfelkreuz beleuchtet. Äh, natürlich das New Alpine Adventure Cross, das größte, höchste, tollste und obendrein beleuchtete Gipfelkreuz der Welt. Es sendet im minutentakt Bergglücksgefühle in blau, gelb und rot aus, außerdem verströmt es den original hinterösterreichischen Freiheitsduft. Ja, na klar und so hab ich dann doch noch und endlich da oben die Freiheit gefunden.
Und dann gilt es nur noch die Beine in die Hand zu nehmen und schnellstens zu Fuß ins Tal zu laufen.