Solo-Klettern - Solo Sicher(n)
„Hi, sag' mal, soll ich für unsere Tour nächste Woche einkaufen gehen oder machst du das?“ Kurze Stille am anderen Ende der Telefonleitung. „Äh, wie nächste Woche? Wir haben doch übernächste Woche gesagt, oder? Nächste Woche hab' ich doch den Job in Hamburg. Da kann ich nicht!“ Entsetztes Durchatmen in der Leitung. „Oh nein, da haben wir total aneinander vorbei geredet. Übernächste Woche muss ich längst wieder zu Hause sein. Da ist mein Kalender proppenvoll. Was machen wir jetzt?“ Ich lege das Telefon beiseite und starre die Wand an. Ok, was mach' ich nun? Eine Woche Urlaub, das stabilste Herbsthoch über den Alpen seit Menschengedenken und keinen Partner mehr. Wer um Himmels Willen könnte so kurzfristig noch Zeit haben? Niemand, ganz klar! So ein Mist! Na dann eben alleine.
So oder ähnlich ist es sicherlich jedem schon einmal ergangen. Und wer dann nicht auf schöne Touren verzichten möchte, der macht sich vielleicht einfach einmal allein auf den Weg. Da es anscheinend einige Unklarheiten und Sicherheitsfragen gibt, wenn man die einschlägigen Foren so anschaut, hier einmal kurz zusammengefasst, was es beim Soloklettern so alles gibt, wie es funktioniert und auf was man achten sollte.
Free Solo
Wikipedia meint dazu folgendes: „Als Free Solo wird beim Klettern die Begehung einer Kletterroute im Alleingang unter Verzicht auf technische Hilfs- und Sicherungsmittel bezeichnet. Der Ausdruck impliziert in der Regel fatale Folgen eines Absturzes...“ Kein Netz, kein doppelter Boden und auch kein Fallschirm - Kletterschuhe an und los. Beim Free Solo ist das ganz klar definiert; hier ist keinerlei Sicherung im Gepäck. Der Stil, in dem man klettert, was bzw. wo man klettert und wie schwer man klettert, spielt dabei keine Rolle. Ob es also die 1000 Meter hohe Eisflanke ist, die mehrtägige technische Bigwall-Begehung oder der 10 Meter hohe Spot im Klettergarten - all das bleibt jedem Soloaspiranten selbst überlassen.
Neben dem Free Solo gibt es allerdings noch eine ganze Reihe von Varianten an Solobegehungen, die im Folgenden vorgestellt werden.
Gesichertes Free Solo
Dieser Begehungsstil wird schon sehr lange angewandt und eines der berühmtesten Beispiele ist sicherlich die Begehung des Südwestpfeilers der Dru durch Walter Bonatti im Jahre 1955. Bei dieser sechstägigen Alleinbegehung im Mont Blanc Massif kletterte er für damalige Verhältnisse herausragende Schwierigkeiten und schrieb damit alpine Geschichte. Beim gesicherten Solo ist der Kletterer zwar allein unterwegs, sichert sich aber mit einem Seil ab. Dabei werden verschiedene Sicherungsgeräte verwendet. In unseren Breiten am gebräuchlichsten sind die Benutzung eines umgebauten Grigris, die Mitnahme eines Silent Partners, Soloisten oder SoloAid Gerätes. Möglich sind auch der Einsatz von einem ATC Guide (harter Fangstoß) oder einer Prusikschlingenkonstruktion (kann im Sturzfall versagen). Egal welches Gerät man benutzt, zunächst wird das Seil am Standplatz fixiert und dann durch das Sicherungsgerät geführt. Ein guter Standplatz ist hier von Vorteil, kommt doch z.B. bei der Verwendung des Grigris ein recht hohen Fangstoß auf die Sicherungskette. Eventuell lässt sich das Problem mit einem Shock Absorber (Bild 1), welcher zwischengeschaltet wird, ein wenig dämpfen. Nun lassen sich Zwischensicherungen wie im normalen Vorstieg klinken. Etwas gewöhnungsbedürftig beim gesicherten Solo ist die Seilführung. Entweder man lässt das Seil einfach herunterhängen (geht eigentlich nur bei sehr kurzen Routen), hängt sich das Seil in großen Schlaufen an den Gurt (Bild 2 - gebräuchlichste Methode, allerdings große Verhedderungsgefahr) oder man benutzt einen Rucksack und hat das Seil dort aufbewahrt (Bild 3 - funktioniert sehr gut, allerdings klettert ja nicht jeder gerne mit Rucksack). Ist der nächste Standplatz erreicht, wird das Seil fixiert und anschließend abgeseilt. Ein weiteres Hochklettern oder Jümarn am Seil ist dann erforderlich, um die Exen/Zwischensicherungen wieder einzusammeln und die Fixierung am unteren Standplatz zu lösen (Bild 4). Insgesamt ist diese Methode sehr zeit- und kraftintensiv, denn man muss ja jede Seillänge doppelt bewältigen und zusätzlich noch (mindestens) ein Abseilmanöver hinlegen. Aber immerhin ist man damit im Sturzfall gesichert. Nach einiger Eingewöhnung („Hält der Stand das aus? Alles richtig eingehängt?“) lassen sich mit dieser Methode Mehrseillängenrouten oder auch technische Routen sehr gut bewerkstelligen.
Bild 1 Shock Absorber am „Stand“
Bild 1b-c umgebauter Grigri
Bild 2 Schlaufen unter Verwendung eines Silent Partners
Bild 3 Vorstieg mit Grigri in der Rucksackmethode
Bild 4 Aufstieg mit Jümarsicherung
Free Solo mit „doppeltem Boden“:
Psicobloc und Free Base
Deep Water Soloing oder kurz DWS wird heute auch gerne als Psicobloc bezeichnet und beinhaltet ein Free Solo über dem Wasser. Wie beim Free Solo wird ohne jegliche Sicherung, dafür aber zum Teil richtig hoch über dem Wasser geklettert, so dass man bei einem eventuellen Sturz im feuchten Nass landet. Ideale, sturzfreundliche Klippen findet man auf Mallorca, in Thailand, in Kroatien oder an der Côte d` Azur.
Der amerikanische Kletterer Dean Potter hat die entscheidenden Impulse gegeben, um einen neuen Stil zu kreieren: Free Base (BASE solo). Hierbei steigt man solo eine Wand hoch, ist allerdings mit einem Fallschirm auf dem Rücken gesichert, welcher im Notfall (sprich Sturz) ausgelöst wird. So kletterte Dean Potter die Route Deep Blue Sea (7b+, 2008) am Eiger.
Toprope-Klettern ohne Partner
Vielfach verwechselt und mit einem „Guck mal, der klettert solo“ im Klettergarten betitelt, hat das Toprope-Klettern ohne Partner mit dem eigentlichen Soloklettern nichts zu tun. Diese Variante sieht man oft und sie wird meist in kurzen Routen im Klettergarten angewandt. Dabei wird zunächst ein Seil am Ausstieg der zu kletternden Route befestigt. Nun kann man entweder mit einer Seilklemme (Petzl Basic oder Croll, Wild Country Ropeman, Kong Duck ) oder ähnlich funktionierenden Geräten (Petzl Shunt o.ä.) am Seil gesichert hinaufklettern. Am meisten Spaß macht es, mit einer solchen Sicherung unterwegs zu sein, wenn das Seil unten ein wenig beschwert ist (Rucksack dranhängen z.B.) und das Gelände nicht zu steil ist (Sicherungsgeräte könnten sonst versagen). Bei Modellen bei denen eine Verzahnung in das Seil greift, kann in Windeseile ein erheblicher Seilverschleiß produziert werden. Auch Schmutz, Steine o.ä., wenn sie in die Geräte hineinrutschen, (z.B. bei nassen, vereisten Seilen) führen zum Versagen des Klemmechanismusses. Darauf sollte man achten.
Sind Solo-Kletterer lebensmüde?
Das Tolle am Soloklettern ist, dass man kein Huberbuam sein muss, um in dieser Spielform des Kletterns ein großes Erlebnis zu haben. Selbst der hundertmal gekletterte Dreier ist solo gemacht ein totales Abenteuer. Bei einer Solobegehung dreht sich innerhalb von Sekunden die ganze Welt nur noch um den nächsten Griff und den nächsten Tritt. Alltag? Stress? Der Kopf wird blitzschnell frei von jeglichen ablenkenden Gedanken und die ganze Energie wird in die Kontrolle des Weges nach oben gesteckt. Allerdings sollte man sich seines Handelns schon ziemlich bewusst sein. Man sollte genau abwägen, welche Route beim ersten Mal gewählt wird. Denn ab einer gewissen Sturzhöhe ist ein Fehlversuch in aller Regel tödlich. Warum Kletterer so verrückt sind, Solo zu klettern? Es liegt sicherlich nicht in unserem Kompetenzbereich über das Handeln anderer hier zu urteilen. Und auch wenn irgendwo oft ein Stück Geltungsbewusstsein, Aufmerksamkeitsuche und Publicity erzeugt werden soll, so zählt am Ende eigentlich nur die Begehung als solche. Und wer einmal mit aufgepumpten Armen, unter einem Höchstmaß an Konzentration und einem vor Adrenalin platzenden Hirn nach einer Solobegehung am Ausstiegshenkel gebaumelt hat, der weiß, dass es die reinste und intensivste Form des Kletterns ist - ein Stil, der unglaublich bewegt, glücklich und oft auch ein bisschen süchtig macht.